Lehm als Baustoff der ökologischen Bauwende

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Welche Potenziale hat der Baustoff Lehm für die künftige Bautätigkeit in Österreich? 

Andrea Rieger-Jandl: Lehmbauten sind der Inbegriff einer kreislauffähigen Architektur. Sie sind aus Erde gebaut und werden, wenn sie ihren Zweck erfüllt haben, wieder zu Erde. Lehm ist eine unendliche Ressource, die uns nicht nur in Massen zu Füßen liegt, sondern die in den meisten Fällen sogar bereits ausgegraben und als Bauaushub direkt verfügbar ist. In Österreich fallen pro Jahr an die 40 Mio. Tonnen an Aushubmaterial an, ein großer Teil davon ist Lehm. Damit haben wir hier einen Baustoff direkt vor unseren Augen, der in Zukunft eine zentrale Rolle in der notwendigen ökologischen Bauwende spielen kann.  

Welche Qualitäten hat dieser Baustoff – auch im Hinblick auf zirkuläres und CO2-reduziertes Bauen? 

Energieintensive Baustoffe könnten in den unterschiedlichsten Bereichen durch Lehmbaustoff ersetzt werden. Lehm wird heute in Form von Lehmputz, -bauplatten, -estrich, -schüttungen, als Innenwand oder als Vorsatzschale bei Renovierungen eingesetzt. Mit Stampflehm oder Lehmsteinen kann auch lasttragend gebaut werden. Neben der Kreislauffähigkeit überzeugen Lehmbaustoffe auch durch ein gesundes Raumklima sowie gestalterische Qualitäten. 

Wie wird Lehm bereits in größeren Bauprojekten – etwa auch der öffentlichen Hand – genutzt? 

Derzeit wird Lehm in Kindergärten, Schulen und Museen in Form von Innenwänden, Putz oder Schüttmaterial eingesetzt. Um ihn als primären Baustoff im großen Maßstab zu etablieren, gilt es noch Hürden zu überwinden. Das Netzwerk Lehm arbeitet an der Erstellung von Normen und Regulativen für den Lehmbau – die neue Aushubverordnung soll die Aushubverwertung erleichtern und die Forschung arbeitet mit Hochdruck an technischen Lösungen, um den handwerklichen Lehmbau auf einen industriellen Maßstab zu skalieren. Zukünftige Stadtentwicklungsprojekte – wie etwa in Rothneusiedl – sehen bereits vor, Bauaushub direkt vor Ort zu Lehmbaustoffen zu verarbeiten. Sobald bei öffentlichen Ausschreibungen der gesamte Lebenszyklus eines Gebäudes mittels Ökobilanzierung nachgewiesen werden muss, kann Lehm wirtschaftlich voll konkurrenzfähig werden.

Wie kann der Baustoff Lehm und sein Standing in Österreichs Baubranche – auch über die österreichischen Kreislaufwirtschaftsstrategie – unterstützt werden?

Die Etablierung von Lehm als Baustoff in Österreich erfordert eine gezielte Förderung innerhalb der Kreislaufwirtschaftsstrategie, um die notwendigen Skalierungsmaßnahmen voranzutreiben und einen fixen Platz in der Bauindustrie einnehmen zu können. Fehlende Geschäftsmodelle und mangelnde regulatorische Standards müssen adressiert werden. Ausbildungsprogramme sind essenziell, damit Fachkräfte zur Verfügung stehen. Bauteilkataloge müssen entwickelt werden. Die Förderung lokaler Produktion und kürzerer Transportwege würde auch die Wirtschaftlichkeit von Lehm stärken. Daneben würde eine konsequente CO₂-Bepreisung für Kostenwahrheit unter allen Baustoffen sorgen und Bauunternehmen dazu bewegen, verstärkt auf Lehm zu setzen. 

Welche Beziehung haben Sie selbst zum Baustoff Lehm?

Als Architekturwissenschaftlerin und Anthropologin habe ich viel in außereuropäischen Ländern geforscht, in denen es noch eine lebendige Lehmbaukultur gibt. Aber auch in Europa spielte der Lehm bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts eine bedeutende Rolle und in manchen Regionen Österreichs – etwa im Weinviertel – bestanden um 1900 fast alle Gebäude aus Lehm. Wir haben ein reiches Lehmbauerbe, das durch die Industrialisierung vergessen wurde und damit die Möglichkeiten dieser voll kreislauffähigen Architektur. Sich solch traditionelle Bauformen anzusehen, hat dabei nichts Rückwärtsgewandtes. Im Gegenteil, wir können aus dieser „Muttersprache“ der Architektur lernen und seine Prinzipien in eine zukunftsweisende Architektur einfließen lassen.

Andrea Rieger-Jandl, Obfrau und Vorsitzende des Netzwerks Lehm
© Wolfgang Pecker

Andrea Rieger-Jandl

Vorsitzende des Netzwerks Lehm

„Lehm ist eine unendliche Ressource, die uns zu Füßen liegt.“
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Andrea Rieger-Jandl (Ao. Univ. Prof. DI Dr. phil.) ist Obfrau und Vorsitzende des Netzwerks Lehm, das sie vor sechs Jahren gründete, um den Lehmbau in der modernen Bauwirtschaft Österreichs zu fördern. Sie leitet zudem den Masterstudiengang Architektur – Green Building an der FH Campus Wien und ist ao. Universitätsprofessorin am Forschungsbereich Baugeschichte und Bauforschung der TU Wien. Sie absolvierte ihr Architekturstudium an der Technischen Universität Wien mit Studienaufenthalten in den USA (IIT Chicago, MIT Bosten, UC Berkeley), ihr Doktoratsstudium an der Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften der Universität Wien und habilitierte an der TU Wien in kulturvergleichender Architekturgeschichte. Als Architekturwissenschaftlerin und Anthropologin fokussiert sie ihre Forschungen auf die ökologische und sozio-kulturelle Nachhaltigkeit traditioneller Architekturformen.

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